Zwischen den Weltkriegen
Im Manuskript „Der Verein für die Geschichte Leipzigs 1917 bis 1942“ heißt es zusammenfassend:
Dem Verein für die Geschichte Leipzigs hat es nie an Aufgaben gefehlt. Da bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts das museale Sammeln dem damals neu gegründeten Stadtgeschichtlichen Museum überlassen war, blieben der Betätigung des Vereins die Vorträge, Führungen sowie die Herausgabe von Schriften. Letztes Ziel des Vereins musste es stets sein, neuen Stoff zur Stadtgeschichte beizutragen, neuartige Fragen zu stellen, nicht etwa aus dem bekannten zu schöpfen.
Diese besondere Arbeit leistet der Verein für die Allgemeinheit. Durch seine Schriften wollte er die Ergebnisse weit über Leipzig hinaus der gesamtdeutschen Geschichtsforschung zugänglich machen. Der Schriftenaustausch mit auswärtigen Vereinen, der ständig und planmäßig ausgebaut wurde, umfasste annähernd 200 Anschriften in Deutschland, Italien, der Schweiz, Schweden, Holland.
Die Vortragsarbeit des Vereins war bestrebt, möglichst alle Sondergebiete zu berücksichtigen, die für die Geschichte einer Stadt vom Alter und von der Einflusssphäre Leipzigs in Frage kommen.
Die Vereinsabende hatten die Siedlungs- und Frühgeschichte, die Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, die Kunst- und Baugeschichte, die Universitäts- und Geistesgeschichte in ihren vielen Formen (Literatur, Musik, Theater, Zeitung) gleichmäßig berücksichtigt; von Goethe, Schiller und Lessing; von Laube, Freytag und Treitschke; von Wagner und Bach; von Genelli und Klinger und von vielen anderen, die Leipzigs geistiges und kulturelles Gesicht mit bestimmten, war die Rede gewesen und - was noch mehr sagen will: zumeist war über sie Neues geboten worden.
Auch der Versuch, das Lipsiensiensammeln im privaten Kreis wieder anzuregen, wurde gemacht und nach einem einführenden Abend fand fast regelmäßig in den Nachversammlungen ein Meinungsaustausch über Leipziger Erinnerungsstücke statt.
Wesentlich erweitert wurde das Führungsprogramm. In der älteren Zeit des Vereins hat man im allgemeinen ganztägige Studienausflüge unternommen; Am Himmelfahrtstage, später am Sonntag nach Himmelfahrt, gelegentlich wohl auch einen zweiten im Herbst.
Diese Studienausflüge, die in Leipzigs Beziehungen zur umgebenden Kulturlandschaft einführen sollen, blieben bestehen, wurden aber ergänzt durch Halbtagsführungen mit Besichtigungen, die aufs genaueste mit dem Leipziger Stadtbild und mit dem Werden der Großstadt vertraut machen und die bedeutenden Kulturschätze der Stadt erschließen wollen. Zu diesem Zweck finden jetzt fast in jedem Sommer 5 bis 6 Führungen statt
Der Ausbau des Schriftwesens in größerem Sinne sollte in Angriff genommen werden. Bei der Fünfzigjahrfeier, die am 27. Dezember 1917 im Stadtverordnetensaale festlich begangen wurde, gab der 2. Vorsitzende die Errichtung einer Ernst-Kroker- Stiftung für stadtgeschichtliche Forschung bekannt, deren damals schon nicht unbedeutende Grundstock auf eine bestimmte Höhe vermehrt werden sollte, um neben den aus Einzelbeiträgen bestehenden Bänden eine stadtgeschichtliche Monographienreihe zu ermöglichen.
Leider sind die Mittel der Stiftung bis auf einen ganz geringen Betrag der Inflation zum Opfer gefallen, ehe der Zeitpunkt erreicht war, wo sie in Wirksamkeit treten konnte. Ihr Ziel wurde zeitweilig vom Ausschuss für das historische Schriftwesen mit städtischen Mitteln übernommen, der seit 1929 drei Bände veröffentlicht hat. So blieb dem Verein zunächst nur die Weiterführung seiner Schriften übrig, soweit dazu noch Geld vorhanden war. Der 13. Band wurde in drei Heften von 1921-1926 herausgegeben. 1929 erschien der 14. Band und war die Folge bis zum Kriegsausbruch 1939 auf 23 Bände gebracht worden. Außerdem waren zwei Beihefte erschienen so wie das Sonderheft von Bernhard Lange: Dr. Friedrich Schulze 60 Jahre. Drei von den neuen Bänden trugen monographischen Charakter: Ernst Müller, Die Häusernamen von Alt-Leipzig; Albert Schröder, Leipziger Goldschmiede aus fünf Jahrhunderten und Otto Rudert, Die Kämpfe um Leipzig im Großen Kriege 1631-1642.
Im Jahre 1941 wurde die Forschungsstelle unter Führung von Oberbürgermeister Freyberg und der wissenschaftlichen Leitung von Archivar Dr. Ernst Müller gegründet. Ihre Aufgabe bestand vor allem in planmäßigen Vorarbeiten zu einer groß angelegten wissenschaftlichen Stadtgeschichte. Außerdem unterstützte sie nach Möglichkeit auch außerhalb ihrer Veröffentlichungsreihe erscheinende wissenschaftliche Schriften zur Stadtgeschichte, insbesondere des Vereins für die Geschichte Leipzigs. Seit 1938 wurde ferner von Georg Merseburger, dem Gründer des Leipziger Kalenders, das Leipziger Jahrbuch heraus gegeben, das die Vereinsmitglieder zu einem verbilligten Preise erwerben konnten. Um freilich auf den Haupttätigkeitsgebieten vorwärts zu kommen, war Beschränkung notwendig.
Der Verein hatte früher das Anbringen von Tafeln zu geschichtlich bedeutsamen Stätten in sein Bereich mit einbezogen, ja, er hatte in dieser Hinsicht in Leipzig bahnbrechend gewirkt. Er musste aus Geldgründen fortan darauf verzichten. Die Kennzeichnung des Hauses, Hainstraße 9, in dem Theodor Fontane als Apotheker tätig gewesen war, durch eine Tafel aus Anlass von Fontanes 100. Geburtstag, am 30. Dezember 1919, war die letzte derartige Maßnahme des Vereins. Ebenso konnte die regelmäßige Überweisung von Schenkungen an das Stadtgeschichtliche Museum nicht mehr fortgesetzt werden, da die hierfür bestimmte Stiftung ebenfalls in der Inflationszeit verfiel. Zu den letzten Geschenken des Vereins gehörte ein Ring aus Käthchen Schönkopfs Besitz.
Noch ehe der Verein für die Geschichte Leipzigs entstand, war 1852 eine Großorganisation aller örtlichen Vereine im Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine geschaffen worden. Ihr schloss sich der Geschichtsverein an und wurde mit ihr 1933 dem Reichsministerium für Volksbildung unterstellt.
Außerdem stand der Verein von 1925 bis 1933 in einer die geschichtlichen Bestrebungen des Landes Sachsen zusammenfassenden Gruppe, dem Verband sächsischer Geschichts- und Altertumsvereine. Die 5. Tagung dieses Verbandes fand am 4. und 5. Oktober 1930 in Leipzig statt. Diese innersächsische Zusammenarbeit der heimatgeschichtlichen Vereine war dann durch das Heimatwerk Sachsen weitergeführt, dem der Geschichtsverein beigetreten war.
Eine örtliche Neuorganisation des Leipziger Geschichtsvereins wurde 1938 vorgenommen. Die außerordentliche Hauptversammlung vom 25. Februar 1938 beschloss die Beteiligung des Vereins an der Arbeit des Deutschen Volksbildungswerks und den heimatkundlichen Veranstaltungen des Verkehrsvereins, der sich durch seine Abteilung „Unsere Leipziger Heimat“ zum Zweck der Heimatwerbung für die Verbreitung stadt- und heimatgeschichtlicher Kenntnisse in weiten Kreisen einsetzte. Durch die Verlegung der Vereinsgeschäftsstelle in die Räume des Verkehrsvereins (Leipzig C1, Reichsstraße 15, Kochs Hof) kam dieser Zusammenhang zum Ausdruck. Außerdem wurde dadurch für die Zukunft eine engere Verbindung mit der Stadt hergestellt, da der Dezernent des Kulturamts das Amt des ersten Vorstehers übernahm.
Die Führung lag zur damaligen Zeit in Händen von Stadtrat Hauptmann, während die wissenschaftliche Abteilung Dr. Friedrich Schulze, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, und die volksbildende Studienrat Johannes Arndt betreute. Geschäftsführer war Studienrat Dr. Walter Engemann. Nicht selten hat der Verein in Altleipziger Fragen, etwa der Erhaltung von Baudenkmälern oder historischen Namen, seine Ansicht geäußert; 1927 ist er auch in längerer Eingabe an das Sächsische Ministerium für Volksbildung für die Gründung eines ordentlichen Lehrstuhles für Landesgeschichte an der Universität Leipzig eingetreten.
Zahlen und Fakten
Infolge einer während des Ersten Weltkrieges im Februar 1917 erlassenen Ministerial-Verordnung musste das Abhalten von Vorträgen aufgrund von Kohlemangel zeitlich eingeschränkt werden, so dass lediglich von Freitag bis Sonntag Vorträge möglich waren. Der Vortrag in der Alten Börse am 14. 3. 1917 über das Leipziger Theater musste daher verschoben werden und fiel schließlich ganz aus.
Die Veröffentlichung des 11. Bandes der Vereinsschriften musste verschoben werden, der Verein beteiligte sich dafür mit 300 Mark an der Kriegsnotspende. Die Vortragsabende liefen vorerst ohne Unterbrechung weiter. Der Besuch der Vorträge gestaltete sich stärker besucht als in Friedenszeiten. Das Festmahl zur Hauptversammlung musste hingegen zunehmend eingeschränkt werden.
Ab Februar 1917 sah man sich gezwungen, aufgrund des Kohlemangels Vorträge zu streichen. Der Schatzmeister Herr Gerhard diente seit 1914 als Vorstand des Gefangenenlagers in Döbeln, Dr. Georg Buchwald als Beisitzer wurde nach Rochlitz abberufen. An seine Stelle trat der Bankprokurist Franz Barth, der auch die Tätigkeit des Schatzmeisters übernahm. Ungeachtet dessen traten neue Mitglieder in den Verein ein.
Ein Mitglied fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg - Dr. Albert Poetzsch, am 3. 7. 1915. Er hatte als Bibliothekar an der Stadtbibliothek gearbeitet, war seit 1911 Vereinsmitglied und hielt Vorträge über Adam Müller als österreichischen Generalkonsul in Leipzig sowie Rudolf Hildebrand.
Am 8. 1. 1917 starb Albrecht Kurzwelly (Stadtgeschichtliches Museum) infolge einer an der Front erlittenen schweren Verletzung. Ein Nachruf würdigte sein Lebenswerk. An seine Stelle als 2. Vorsteher trat sein Mitarbeiter, Dr. Friedrich Schulze, in den Vorstand ein.
Am 23. Januar 1923 verlor der Verein einen seiner Mitbegründer, Oberlehrer Eduard Mangner, den Vorsteher der Jahre 1891 bis 1911, und am 26. August 1927 dessen Nachfolger, Professor Dr. Ernst Kroker, der als Stadt- und Reformationshistoriker sich einen klangvollen Namen geschaffen hatte. Die Mitgliederbewegung unterlag, nachdem Mitte der zwanziger Jahre ein gewisser Höhepunkt erreicht war, starken Schwankungen.
Die Inflation brachte auch die Entwertung der Stiftungsmittel.
Geschäftsstellen nach 1918:
- Leipzig C1, Schillerstraße 9, Städtische Schule für Frauenberufe
- Leipzig C1, Reichsstraße 15, Kochs Hof
- Leipzig C1, Markt 1, Buchhandlung Heinrich Matthes
Mitgliederzahlen:
- 1917 etwa 470
- 1918 etwa 500
- 1921 etwa 600
- 1922 etwa 650
- 1923 etwa 700
- 1924 etwa 750
Mitgliedsbeiträge:
- 1913 – 1924: 5 Mark
- 1925 – 1929: 3 Mark
- 1931 – 1930: 5 Mark
- 1931 – 1937: 4 Mark
1938 erfolgte die Umorganisation für den Leipziger Geschichtsverein mit einer engeren Verbindung mit der Stadt, da der Dezernent des Kulturamts das Amt des ersten Vorstehers des LGV übernahm.
Widerstandsbestrebungen gegen die auf der Hauptversammlung des Vereins vom 25. Februar 1938 angenommenen Satzung konnten nicht ausfindig gemacht werden. Der Verein blieb seinem Zweck der heimatgeschichtlichen Wissenschaft und Volksbildung unter Beachtung parteipolitscher Prämissen verschrieben.
Die auf der Hauptversammlung des Vereins vom 25. Februar 1938 angenommenen Satzung bestimmte nach § 4 Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft:
„Mitglied des Vereins kann jeder werden, der deutschen und artverwandten Blutes ist.“
Danach waren mit dem Einsetzen der Judenverfolgungen ab November 1938 keine jüdischen Mitglieder mehr im Verein. Dass jüdischen Mitgliedern des LGV unter Beruf auf das Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenstandes vom 7. April 1933 die Niederlegung der Mitgliedschaft (Austritt) angetragen wurde, konnte nicht ermittelt werden.
Aus dem Jahresbericht 1939:
„Beim Kriegsausbruch, im Herbst, war die Frage aufzuwerfen, ob die Tätigkeit kultureller Vereine einzustellen oder wenigstens einzuschränken sei. Sie wurde von den maßgeblichen Stellen dahin beantwortet, daß das Kulturleben ganz allgemein keine Minderung erfahren dürfe. ... Die Beteiligung (aller Veranstaltungen) war meist gut, was besonders für die Zeit der Verdunklung im Oktober bis Dezember hervorgehoben werden muss.“
Aus dem Jahresbericht 1942:
„... das Jahr 1942 erhielt sein Gepräge durch die 75-Jahrfeier, die aus praktischen Gründen vom 17. Dezember auf den 24. und 25. Oktober vorverlegt wurde. Sie fand, trotz der kriegsbedingten schlichten Form, unter großer Beteiligung von Mitgliedern und Gästen statt.“